Als ich meinen vorletzten Blog geschrieben habe, wo es ja bereits um Prägungen ging, fiel mir ein Erlebnis aus meiner Kindheit ein. Manche unter den Leser*innen haben bestimmt ähnliches erlebt, für manche ist mein Erlebtes eventuell ganz interessant, insbesondere für diejenigen, die gerade mitten in der Kindererziehung sind. Wir geben ziemlich viel an unsere Nachkommen weiter! Seid achtsam.
Jungs sind gut in Mathe, Mädchen in Rechtschreibung
Als ich einmal (vor gefühlten hundert Jahren) bei einer Freundin und ihren zwei Kindern zu Besuch war, saßen beide Kids am Tisch und waren mit ihren Hausaufgaben beschäftigt. Meine Freundin meinte dann so beiläufig „Jungs sind besser in Mathe, Mädchen in Rechtschreibung.“ Ach, ist das so? Sie meinte dann nur, dass Jungs eher technisch begabt wären, Mädchen weniger. Zu meiner Zeit hielten sich Glaubenssätze der unterschiedlichen Interessen von Jungs und Mädchen sehr hartnäckig. Man hatte weder als Junge, noch als Mädchen die Chance, diesen Einstellungen zu entkommen.
Nun bin ich mit zwei Brüdern aufgewachsen. Einer jünger, der andere älter. Im zarten Alter von zwei Jahren konnte ich für mich feststellen, dass ich eher an Technik interessiert bin als am Puppen spielen. Mein Großvater hatte drei Taschenuhren. Eine funktionierte noch tadellos, die zweite trug er an nur an Sonn- und Feiertagen und die dritte hatte den Betrieb eingestellt. Das war meine Chance. Die Uhren lagen in einem Glasschrank im Wohnzimmer. Also nahm ich mir einen Stuhl, stellte mich drauf und holte die Uhr aus der Vitrine. Anschließend das gleiche am Schreibtisch, wo ich mir einen kleinen Schraubendreher aus der Schublade nahm.
Ein Mädchen macht doch sowas nicht
Dann setzte ich mich auf den Boden und zerlegte die Uhr in sämtliche Einzelteile. Ich hatte schon vorher bei meinem Großvater beobachtet, dass er mit dem kleinen Schraubendreher an der Uhr zugange war. Er hatte es allerdings nicht geschafft, sie wieder zum Laufen zu bringen. Ich war überzeugt, dass ich das hinkriege. Jedenfalls war ich hochmotiviert. Nachdem ich die Uhr zerlegt hatte, kam mein drei Jahre älterer Bruder herein und war total entgeistert. Er wusste, dass meine Aktion ziemlichen Ärger verursachen würde. Ich unbedarfte Zweijährige wollte ja nur was Gutes. Nämlich die Uhr wieder zum Laufen bringen. Mein Bruder versuchte noch, das Ganze zu vertuschen und die einzelnen Teile zusammenzufügen. Was ihm auch nicht gelang. Dann kam der Großvater rein. Tja, und jetzt kommen die Glaubenssätze. Die ganze Abreibung bekam mein Bruder ab, obwohl wir beide beteuerten, dass ICH die Übertäterin war. Aber nein, ein Mädchen – und dann auch noch so klein. Nein, das konnte nicht sein, dass ich das zerlegt hatte. Also bekam mein Bruder die Prügel. Damals war das leider noch so.
Zwei Jahre später. Ich war gerade vier geworden und man hat mir zu meinem Geburtstag eine riesige Puppe geschenkt. Sie hatte lange schwarze Haare, bewegliche Armen und Beine, leuchtend blaue Augen, die auf- und zugingen, wenn man die Puppe hingestellt oder gelegt hat. Ich nahm sie mit in den Garten, legte mich mit ihr unter einer Decke und drückte ihr die Augen ein. Sie hatte keine halbe Stunde bei mir überlebt. Das Gezeter von Mutter und Tanten war genauso groß wie die Puppe. Wie konnte ich das nur tun? Keiner konnte es verstehen. Und dieses Ungetüm war nicht gerade preiswert gewesen. Das ist doch nicht normal! Richtig, das war nicht normal. Warum? Weil ich NIE an Puppen interessiert war. Und das hatte ich auch immer wieder geäußert und gezeigt. Mein großer Bruder hatte Weihnachten zuvor einen großen Märklin Baukasten geschenkt bekommen. Da konnte man richtig was mit anfangen. Kräne, Brücken, Autos usw. bauen. Ich hatte meine Geschenke in die Ecke gelegt und mich mit meinem Bruder um den Baukasten gestritten. Natürlich verloren. War ja sein Geschenk. Du bist ein Mädchen, das brauchst du nicht, meinten alle. Ich habe jede sich mir bietende Chance genutzt, und die Konstruktionen meines Bruders zerlegt und meine eigenen Sachen zusammengeschraubt. Ich war übrigens total unglücklich darüber, dass man mir diese technischen Dinge verwehrt hat. Aber das durfte damals nicht sein.
Wenn Technik begeistert
Diese Begeisterung für alles Technische zog sich dann auch weiter in meiner Entwicklung durch. Mit neunzehn kaufte ich mir einen Opel GT. Das waren die kleinen Flitzer, bei denen man die Scheinwerfer ausfahren musste. Das Fahrzeug war eigentlich reif für den Schrottplatz. Ich habe den Wagen abgeschliffen, die Rostflächen entfernt und neu lackiert. An dem Wagen gab es immer etwas zu schrauben und zu reparieren. Als mir einmal auf einer Autofahrt durch die Schweiz der Gashebel riss, habe ich den auch a la McGyver repariert. Die Autowerkstätten hatten auch keine Freude an mir, da ich immer genau hinterfragt habe, was eigentlich kaputt ist und was sie ganz konkret repariert hätten. Das hat mich bei meinem Flitzer übrigens vor einem neuen Vergaser gerettet. Wollte mir doch glatt eine Werkstatt einen neuen einbauen, obwohl nix kaputt war.
Dieses Interesse ist bei mir bis heute vorhanden. Jetzt, wo ich meinen Van habe, interessiert mich auch, was wie warum funktioniert. Wobei die Technik von heute nichts mehr mit der von damals zu tun hat. Dafür gibt es heute Vereine, gelbe Engel oder wie immer man sie nennen mag. Für die Kleinreparaturen habe ich allerdings Bohrmaschine, Werkzeugkoffer, Kabelbinder mit an Bord. Wenn man mir etwas schenken möchte, freue ich mich tierisch über eine richtig gute Bohrmaschine oder gutes Werkzeug. Damit macht man mir mehr Freude als mit einem Brillantring. Wobei! Den Schmuck würde ich als Geldanlage auch nicht verschmähen.
Viele Chancen und Möglichkeiten
Ich finde es wunderbar, dass junge Menschen heute ihre Ausbildung, ihren Beruf, ihre Zukunft nach ihren Fähigkeiten und Interessen auswählen können. Dass langsam aber sicher das Schubladendenken aufhört, in das wir früher hineingesteckt wurden. Diese Glaubenssätze und Einstellungen haben viele Mädchen und Jungen daran gehindert, sich persönlich zu entwickeln und den eigenen Weg zu finden. Eigentlich wollte ich immer Architektin werden. Aber so was kam für mich nicht infrage. Kein Job für eine Frau. Heute sehe ich mich in meinem Beruf als Coach auch ein Stück weit als Architektin und so fühle ich mich auch wohl bei dem, was ich tue. Mit der Architektur wäre das wahrscheinlich auch an meinen Mathematikfähigkeiten gescheitert. Zahlen sind nicht meine besten Freude. Da könnte sich der Glaubenssatz ja glatt bestätigen. Vorsicht!
Schaut mal bei euch, welche Muster, Glaubenssätze und Einstellungen euren Werdegang beeinflusst haben und wie ihr sie vielleicht sogar überlebt und das Beste daraus gemacht habt. Und wer Kinder hat, beobachtet euch mal, wo ihr bei euch alte Muster findet. Oftmals sind sie automatisiert und werden unbewusst von den Eltern oder der sozialen Gemeinschaft, in der wir leben, übertragen und übernommen.
Es ist schon interessant, auf was für Gedanken man kommt, wenn man so wie ich unterwegs ist. Da ich mich nicht mehr in meiner Komfortzone befinde, werden wohl die einen oder anderen Trigger angestoßen. In meinem gleichförmigen Alltag vorher passierte das eher selten. Jetzt, wo ich viele fremde Menschen und Landschaften kennenlerne, erhalte ich täglich neue Inspiration.
So, aber jetzt verlasse ich gleich meinen Van und laufe eine Runde um den See, an dem ich gerade stehe. Die Temperaturen passen heute auch sehr gut. Es ist nicht zu heiß.
Learnings diese Woche
- Die eigenen Glaubenssätze, Einstellungen hinterfragen
- Tue ich das, was mir Freude bereitet, wo ich meine Fähigkeiten einsetzen kann?
- Lass dich täglich inspirieren!
Dann bis nächste Woche. Bleib heiter!