Diese Woche ist das Wetter im Norden Spaniens und Portugals überwiegend mit Regen gesegnet. Gut für die Natur, zwingt einen aber, die Reisepläne zu überdenken.

Nach einer stürmischen Nacht auf einer Klippe bei der As Catedrais Beach (unbedingt besuchen, wenn man in der Nähe ist) ging es weiter nach Santiago de Compostela. Wieder Regen und ein festgefahrener Van des Camperfreundes, den ich rausziehen musste. Dabei einiges gelernt. Beispielsweise immer ein Abschleppseil dabei haben und wissen, was dann zu tun ist.

Ziele setzen, ändern

Reisepläne geändert. Vom zunächst erst mal spontanen Reisen mit täglichen Frage, wo will ich als Nächstes hin, musste ich feststellen, dass ich mich nicht wirklich treiben lassen kann. Schließlich bin ich es mein Leben lang gewohnt, mir Ziele zu setzen. Ob es sich dabei um berufliche oder persönliche Ziele handelt, sehe ich da keinen Unterschied.

Wenn ich so am Sonntag früh um sechs Uhr dieses Thema reflektiere, fallen mir die ganzen Posts z.B. bei LinkedIn ein, die sich überwiegend mit Karriere und dem Bereich Arbeit beschäftigen. Mit schneller, weiter, höher. Aber es gibt auch immer mehr Stimmen, wie man mit mehr Achtsamkeit sein Leben gestalten sollte. Noch sind es wenige. Mit meinen Artikeln möchte ich dazu Impulse setzen.

 Leben ist nicht nur ARBEITEN

Mit 25 Jahren bin ich völlig in meiner Arbeit aufgegangen. Manchmal waren zehn Stunden nicht genug, um alles zu erledigen. Ich hatte wunderbare Kollegen, ein spannendes Arbeitsgebiet, stand auf der Karriereleiter ganz weit oben. Alles hat gepasst. Freizeit? Ja, manchmal, aber auch die war getaktet, eingebettet in mein Arbeitsleben.

Bis zum Tag X. Es war Ostersamstag als ich einen Hörsturz bekam. Natürlich hatte ich keine Ahnung, was mit mir geschah. Eine Freundin hat mich in die Klinik gefahren, die mir jedoch klarmachten, dass eine Untersuchung erst nach Ostern stattfinden könnte. An Feiertagen wurden nur schwere Notfälle behandelt. Also ging ich wieder nach Hause. Das Ergebnis des Hörsturzes. Tinnitus. Der mich seitdem in meinem Leben begleitet. Stress, meinte der Professor. Sie arbeiten zu viel. Aber, meinte ich, mir macht die Arbeit doch Spaß und ich fühle mich in meinem Arbeitsumfeld wohl. Nun, meinte der Arzt, das interessiert ihren Körper allerdings nicht. Wenn dem Körper die Regenerationszeit fehlt, sucht er sich irgendwann einen Weg, Sie darauf aufmerksam zu machen. Seien Sie froh, dass es nichts Schlimmeres ist.

 Nun ja, das restliche Leben an Tinnitus zu leiden – da muss man sich erst mal daran gewöhnen. Da mir die klassische Medizin nicht helfen konnte, habe ich es mit Alternativen versucht. Ich habe begonnen, zu meditieren. Und ich muss sagen, dass dies mit dem ständigen Ohrgeräusch eine echte Herausforderung war. Aber es gelang mit, den Ton zu integrieren. Jetzt ist er mal stärker, mal schwächer.

Freiräume schaffen

Was ich geändert habe? Durch jahrelange Meditation und Selbstreflexion habe ich mich mit dem Geräusch ausgesöhnt. Ich habe mir andere Ziele gesetzt. Ziele, die Freiraum schaffen,  Genuss integrieren, soziale Bindungen festigen. Dinge, die zu meinem persönlichen und emotionalen Wohlbefinden führen. Zudem habe ich mir damals bewusst gemacht, dass es kein Arbeitgeber wert ist, seine Gesundheit zu ruinieren.

Seit ich auf meiner Reise bin, treffe ich immer wieder auf Menschen, die in den vorzeitigen Ruhestand treten, da sie enttäuscht von ihren Arbeitgebern sind, die der Arbeit, die sie über Jahre hinweg für das Unternehmen geleistet haben, nicht wertschätzen. Diese Menschen sind nicht nur enttäuscht, sondern verletzt. Eine Aussage fand ich besonders erschreckend. „Du bist nur noch ein teurer Posten auf der Payroll.“ Ein Mitarbeiter, der dem Unternehmen Millionenerträge beschert, wird auf diese Art und Weise entlassen. Dies führte bei ihm zu einem Burnout, einer Depression und direkt in die Erwerbsunfähigkeit.

Wenn es darum geht, im Unternehmen Kosten einzusparen, wo bleibt dann Menschliche? Sich jahrelang einzusetzen, um dann einen kalten Handschlag zum Abschied zu bekommen? Man ist raus. Vergessen.

Alternativen

Die jungen Menschen, denen ich auf meiner Reise begegne, suchen nach Alternativen. Sie wollen das Leben ganzheitlich gestalten. Ihre Arbeit, ihre Beziehungen, ihre Gesundheit und vor allem Sinn in dem finden, was sie tun. Raus aus den alten Mustern von nine to five, sich für ein Unternehmen aufopfern und seine persönlichen Interessen zu ignorieren.

 Ich bin seinerzeit in die Selbstständigkeit gestartet. Mit all ihren Höhen und Tiefen, Erfolgen und Misserfolgen, Freuden und Unsicherheiten. Das muss für andere nicht der Weg sein. Es geht darum, zu reflektieren, ob die Weichen, die man stellt, uns auch in die richtige Richtung bringen. Ich habe ja geschrieben, dass diese Reise auch eine Reise zu mir selbst ist.

In meinen Coachings erlebe ich viele, die ihren Job sehr gerne machen, die sich auch mit ihrem Unternehmen identifizieren, sich aber oft nicht gehört und verstanden fühlen von den Menschen in den Etagen, wo Entscheidungen getroffen werden. Die sich teilweise bis in einen Burnout oder eine Depression hinein manövrieren. Doch dann trifft sie die Wahrheit mit voller Wucht. Erst in der Reflektion erkennen sie, was dazu geführt hat.

 Theorie U

Seit einiger Zeit beschäftige ich mich mit der Theorie U. „Die am renommierten Massachusetts Institute of Technology (MIT, Boston) von Otto Scharmer entwickelte Theorie U geht von der Erkenntnis aus, dass die Wirksamkeit des Handelns am stärksten durch die innere Einstellung der/des Handelnden und der Orientierung auf die Zukunft beeinflusst wird. Dieses innere Wissen gezielt zugänglich und „zukunftsfähig“ nutzbar zu machen, ist Inhalt spezieller Individual- und Gruppenübungen entlang eines U-förmig verlaufenden Transformationsprozesses, dessen Resultat in konkrete Handlungsoptionen mündet.“ Quelle: Theorie U *D-A-CH https://theory-u.de.

 Dazu treffe ich mich wöchentlich mit einer kleinen, aber sehr feinen Gruppe. Wir arbeiten uns durch diesen Prozess hindurch. Im Moment sind wir bei den Prototypen. Als ich meine Reise begann, war ich ganz offen, was auf mich zukommt. In den letzten Wochen konnte ich feststellen, dass ich mich so langsam aus dem „gewohnten“ System entferne. Aber wirklich nur ganz langsam. Es ist schon unglaublich, wie sehr man an Gewohnheiten hängt. Jetzt verlasse ich die Komfortzone und befinde mich in einer Art Zwischenstadium wo sich Neues entwickeln kann. Konkrete Ziele habe ich noch nicht formuliert, aber ohne Ziele fühle ich mich auch ein wenig „lost“. Diese Woche erhielt ich von einem meiner Peerkollegen einen inspirierenden Impuls. Auf die Frage, wie es ihm im Moment gehe, antwortete er: „Mein Prototyp sortiert sich jeden Tag neu und das fühlt sich gut an.“ Diesen Satz habe ich für mich übernommen und bin mal gespannt, was sich in der nächsten Zeit entwickeln wird.

Diese Woche geht es auf die Estrada National 2 (EN 2). Diese verläuft von Norden bis in den Süden Portugals und ist 738,5 km lang mit verschiedenen interessanten Stationen. Zur Zeit bin ich mit einem Camperfreund auf diese Route unterwegs. Gestern sind wir ca. 150 km die N222 mit dem Motorrad entlang gefahren. Eine traumhafte Gegend, wo die Reben für den Portwein wachsen. Nachdem sich für die nächsten Tage Regen angesagt hat, haben wir einen kurzen Schlenker nach Porto eingebaut und fahren dann Anfang nächster Woche auf der EN2 weiter. Für die Motorradfahrer*innen unter den Lesern. Diese Strecke ist absolut zu empfehlen.

Learnings diese Woche:

  • Dem Prototypen die Chance geben, sich täglich neu zu generieren.
  • Dankbarkeit für die Menschen, die ich kenne und kennenlerne.

Das wars für diese Woche. Bleib gesund und heiter.